Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Am 1. Adventswochenende ging ich über den Marburger Weihnachtsmarkt und kam am dortigen Weltladen vorbei. Im Schaufenster sah ich eine dieser typischen Figuren aus Ton, Kunsthandwerk aus Peru, einen Campesino, der fröhlich seine Panflöte spielte. Doch seltsamerweise entwuchsen ihm aus seinem Rücken ein paar stolze Engelsflügel: Ein geflügelter Campesino.
Nun kennen wir alle die Darstellungen des unterdrückten Campesinos als Christusfigur am Kreuz oder schwarze Madonnenbilder. Diese wollen Aneignung ausdrücken. Für uns Indiobevölkerung Lateinamerikas ist kein hellhäutiger Nordeuropäer am Kreuz gestorben, wie es bspw. die Kruzifidarstellungen in deutschen Kirchen verkünden. Vielmehr ist Christus einer von uns, er ist Teil unserer Gemeinsschaft und Maria ist unsere Schwester, er ist unser Bruder. Aber diese geflügelte Campesinogestalt ist noch etwas anderes.
Nun bin ich mir in der Engelsdeutung nicht ganz einig mit mir selbst. Ein Teil von mir singt gerne das Lied mit: "Wirst du für mich, werd ich für dich ein Engel sein..." und interpretiert die Engelssymbolik als Mitmenschlichkeit und Füreinanderdasein, immer eingedenk des Satzes: Gott hat keine anderen Hände als die unseren. Wobei zu bedenken ist, dass gerade in der Weihnachtszeit, in der von der Menschwerdung Gottes die Rede ist, in jeder Mitmenschlichkeit immer auch eine Menge Göttliches mitschwingt. Auf der anderen Seite gibt es etwas in mir, dass Gottes Gegenwart nicht in das menschliche Tun und Handeln hinein auflösen möchte, sondern auch unabhängig davon selbstständig am Wirken sieht. Gott ist gegenwärtig in unserem Leben, auch wenn wir von den Menschen verlassen sind.
Nun, sei es wie es sei, der geflügelte Campesino steht für mit in diesem Advent als ein großes Ausrufezeichen. Er ermutigt mich, offen zu sein für Gottes Überraschungen. Gottes Gegenwart und Nähe mag ganz anders aussehen, als ich es mir vorstelle und als ich es mir erwarte und wünsche. So stehe ich vor dem Schaufenster und bin dankbar für diese Ermahnung. Ich habe mir einen dieser kleinen geflügelten Gestalten gekauft. Er sitzt gerade vor mir auf dem Schreibtisch. Seine Botschaft für mich lautet: "Seit Weihnachten ist Gott in dieser Welt. " Gott ist in unserem Leben gegenwärtig. Möglicherweise sieht diese Gegenwart sehr überraschend anders aus. Auch schon Bethlehem war für viele eine große Überraschung. Also lassen Sie uns offen für Gottes Gegenwart durch den Advent gehen. Lassen wir uns überraschen von Gott!
Ein fröhliches Weihnachtsfest wünscht Ihnen
Ihr
Uwe Martini, Direktor des RPI