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Donnerstag, 6. Januar 2011

Zum neuen Jahr

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

"Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem". So die Jahreslosung für 2011. Viele Konfis unserer Gemeinde wählen sich diesen Vers als Konfirmationsspruch. Er scheint besonders Jugendliche zu faszinieren. Das Böse überwinden mit Gutem. Super Sache! Das Böse überwinden. Vielleicht eine Nummer zu groß? Vielleicht aber auch nicht!

In den letzten Wochen wurde intensiv die Affäre "Wiki Leaks" diskutiert. Es geht mir dabei heute gar nicht um die Rechtmäßigkeit dieser Aktion oder die Frage nach Privatsphäre und Datenschutz. Im Rahmen dieser Debatte stieß ich vielmehr auf andere, kleinere "Geheimnisverräter", die nicht so berühmt wurden, wie Assange. Es sind Menschen die versuchten, etwas Gutes zu tun, in dem Sie Informationen preisgaben. Da war zum Beispiel der LKW Fahrer, der vor zig Jahren es nicht mehr aushalten wollte, wissentlich mit falschen Frachtpapieren durch die Gegend zu fahren und Fleisch zu liefern, dessen Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen war. Er brachte den sogenannten Gammellfleisch-Skandal ins Rollen. Er war mutig mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit gegangen - gegen seinen Arbeitsgeber. Heute ist er arbeitslos und lebt von der Stütze. Das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber war zerrüttet. Er wurde entlassen. In Deutschland gibt es kein Gesetz, dass eine solche Person schützt. Er war ein Held. Für kurze Zeit und zu Recht. Sein Gewissen war stärker als seine individuellen Ängste und Interessen. Und das Leben hat ihn dafür bestraft. Die Öffentlichkeit hat ihn mittlerweile vergessen. Oder die Krankenschwester, die in einem Altersheim arbeitete und die dort unmenschlichen und unwürdigen Verhältnisse anprangerte. Auch sie ist heute ohne Arbeit und mehr als das: "So jemanden" stellt niemand mehr ein. Sie hat eine Familie zu ernähren.

Ja, in was für einer Welt leben wir denn. Ich sah diese Fälle in einem Politmagazin im Fersehen (an den Namen der Sendung erinnere ich mich nicht mehr). Es wurden noch mehrere andere Personen in ähnlichen vergleichbaren Situationen genannt. Ich war empört. Solche Menschen müssen doch unterstützt werden und ihnen muss geholfen werden. Ein solches Verhalten muss doch gefördert werden in einem demokratischen System. Wenn einer das Gemeinwohl höher stellt als seine eigenen Interessen und gegen diejenigen angeht, die das Gemeinwohl ihrerseits mit Füßen treten zugunsten ihres eigennützigen Profites. Wo kommt unsere Gesellschaft den hin ohne solche Menschen, ohne solche Zivilcourage? Wie kann es denn sein, dass solch ein Verhalten auch noch bestraft wird?

Dann sprach darüber ich mit einem Freund, von Beruf Staatsanwalt. Der zeigte sich ob meiner Empörung reichlich unbeeindruckt. Nun, so sei es eben. So sind die Gesetze und man kann von einem Arbeitgeber nicht verlangen, jemanden weiter zu beschäftigen, der sich offen gegen ihn gestellt hat und das Vertrauensverhältnis gebrochen hat - sei es auch in einem übergeordneten Interesse und auch wenn dieser Arbeitgeber eigentlich ein echter Schweinehund ist. "Nun", entgegnete ich, "hier will jemand Böses überwinden und Gutes tun." "Ja", sagt er, "dass sagst du, weil du Pfarrer bist. Und moralisch gesehen ist dies richtig. Aber sonst..." . "Ok", entgegnete ich, "bei WikiLeaks sehe ich es noch ein. Da geht es um die echt großen Dinge der Politik. Aber bei einem LKW Fahrer und bei einer Krankenschwester. Da müsste es doch andere gesetzliche Möglichkeiten geben, Menschen zu ermöglichen, Missstände aufzudecken." "Ei, was du hast ja keine Ahnung", sagte mein Freund, "gerade da. LKW Fahrer. Ständig sind LKW Fahrer gezungen, zu entscheiden, ob sie Fahrtzeiten ungesetzlich verlängern, mehr Stunden als erlaubt hinterm Steuer zu sitzen auf Geheiß des Chefs oder eine Kündigung zu riskieren. Ob sie die Fahrtenbücher korrekt führen, ob sie die vorgeschriebenen Ruhezeiten einhalten, oder das tun, was ihr Vorgesetter verlangt, nämlich so zu arbeiten, das möglichst viel verdient wird - auch wenn das Unfallrisiko auf den Autobahnen und das persönliche Risiko dadurch steigt und das nicht nur bei Gefahrgutlastwagen. Und Krankenschwestern, meine Güte, wie oft von denen verlangt wird, wegzuschauen, Illegales zuzulassen, oder möglicherweise nicht weiterbeschäftigt zu werden, das geht auf keine Kuhhaut."

Da stand ich mit meiner Jahreslosung und meiner Empörung. Anscheinend gibt es viel mehr Momente und Möglichkeiten, in denen man vor der Entscheidung steht, Böses zu überwinden mit Gutem oder es sein zu lassen. Wahrscheinlich gibt es viele mehr Heldinnen und Helden, die genau dies tun und kaum einer merkt es. Und sie tragen die negativen Konsequenzen. Kenne ich einen solchen Helden?

Wahrscheinlich gibt es mindestens genauso viele oder mehr, die dies nicht tun, die aus Angst oder falschverstandener Loyalität oder andern guten Gründen schweigen und wegschauen. Wahrscheinlich gibt es für Gutes tun nicht automatisch eine Belohnung. Möglicherweise ist es gut, im neuen Jahr auf solche Momente und Möglichkeiten zu achten, in denen wir das Böse mit Gutem überwinden können. Zu welchem Preis?

Wie werden Sie entscheiden? Wie würde ich entscheiden?
Auf ein gutes neues Jahr 2011

Uwe Martini, Direktor des RPI

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