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Samstag, 11. Juni 2011

Geburtstag, Pferd, Lernkontrolle und die Eltern

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Anfangsritual in einem dritten Schuljahr in einer hessischen Grundschule. Nach dem Lied: "Der Himmel geht über allen auf" gibt der Vikar einen Stein und eine Feder in dem Sitzkreis herum. Jedes Kind hat die Möglichkeit etwas Schweres oder Leichtes zu sagen und vor Gott zu bringen. Es mag an der Prüfungssituation gelegen haben, dass aber auch wirklich jedes Kind etwas sagte. Aber was die Kinder da sagten, lohnt es hinzuhören. "Ich möchte Gott danken, dass mein Vater eine neu Arbeit hat", sagte Sven. "Dass ich zu Jakob auf den Geburtstag darf," sagte ein anderer. "Dass ich eine 2 in der Lernkontrolle habe", "dass meine Schwester mit mir Lego-Fußball am Computer gespielt hat", " dass ich auf dem Pferd von der Carmen reiten darf, denn die hat einen blauen Fleck am Knie". Ich finde es nicht so gut, dass ich "zu Jakobs Geburtstag zu spät komme". "Hoffentlich verletze ich mich nicht beim Turnier am Wochenende", "ich wünsche mir, dass die Katha mit ihrer Mannschaft gewinnt". Und: "dass Mama und Papa sich wieder lieb haben".
6,5 Minuten in einer dritten Klasse. War das nun eine Gebetsgemeinschaft. Einige Schülerinnen redeten Gott direkt an, andere erzählten, was sie Gott gerne mitteilen möchten, andere teilten schlicht ihre Wünsche oder Nöte mit. 6,5 Minuten, in denen sich das ganze Leben dieser jungen Menschen offenbarte. Oder besser gesagt, in denen diese Kinder sich offenbarten. Mit einer Feder und einem Stein. Und wenn Sie jetzt Feder und Stein in der Hand hielten?

6,5 Minuten in denen scheinbar Banales und Schwerwiegendes gleichwertig nebeneinanderstanden. Was mag es dem Jungen bedeutet haben, dass seine Schwester (endlich einmal) mit ihm Lego-Fußball am PC spielte? Oder das Mädchen, das (endlich) auf das Pferd durfte, weil die Freundin offensichtlich ausfiel. Lose Ende vieler Lebensgeschichten in 6.5 Minuten.

Und dann beginnt der Unterricht. Und dann?
In dieser Stunde ging es um den Verlorenen Sohn. In der Woche davor war ich in zwei anderen Religionsunterrichtsstunden (jeweils Prüfer privilegiert unterwegs). Und in jeder Stunde fand ein ähnliches und/oder vergleichbares Anfangsritual statt. Das alleine ist schon bemerkenswert. Mit großer Unbefangenheit räumen unsere jungen Kolleginnen und Kollegen im Religionsunterricht Raum und Zeit für Gebete frei. Ihre Unbeschwertheit mit der sie dies tun ist liebenswert, wenn auch nicht ganz unproblematisch. Aber das ist wieder ein anderes Thema. Die Kinder kennen ihre Rituale, mögen sie und schätzen sie. Und nutzen sie. In den anderen beiden Stunden, die ich sehen durfte, ging es dann weiter mit David und Goliath, bzw. mit den Psalmen. Wenn es uns gelingt, die Themen des Religionsunterrichtes, egal ob "Verlorener Sohn", "David" oder "Psalmen" zu verknüpfen mit den Lebensgeschichten, die sich in der neuen Arbeit des Vaters, dem Reiten auf dem Pferd und dem Computerspiel, dem Geburtstagsbesuch und dem sportlichen Wettbewerb und der Versöhnung zwischen Vater und Mutter zeigen, dann bedarf es nicht des Etikettes "Kompetenzorientierung". Dann gelingt der Religionsunterricht, weil er das Evangelium im Leben der Kinder zum Leuchten bringt.

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