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Dienstag, 13. September 2011

Erschütterbar sein und widerständig.


Die Kunstgeschichte hat den Bildtypus des trauernden und sitzenden, durch die Merkmale seiner Passion charakterisierten Erlösers mit dem Begriff des "Christus im Elend" belegt. Sie wird auch „Christus in der Rast“ genannt. Es handelt sich um ein en sitzenden Heiland mit einer Hand an der Wange als Geste der Klage. Dieser Typus wird auch Herrgottsruhbild genannt, ein seit dem 14. Jh. bekannte Darstellung des sitzenden Heilands mit Dornenkrone und Geißelwunden, aber ohne die Wunden der Kreuzesnägel und des Lanzenstichs.

Das häufig vollplastisch ausgeführte Passionsmotiv gibt die Szene unmittelbar nach der Dornenkrönung und der Verspottung Christi wieder. Es sind zwei Versionen des Sujets überliefert. Bei der einen hält der häufig in einen Purpurmantel gehüllte und mit der Dornenkrone gekrönte, sitzend dargestellte Christus eine Geißel oder das Spottzepter in den gefesselten Händen. Beim zweiten Typus stützt Jesus einen Ellbogen an den Schenkeln auf und hält das Kinn bzw. eine Wange mit einer Hand, eine alte Geste der Klage. Diese Art der Gestaltung heißt im Volksmund auch "Zahnwehherrgott".

Bereits Johannes Molanus wies in seiner 1570 in Löwen veröffentlichten Schrift mit dem Titel "De historia Imaginum et Pictuarum" auf die Häufigkeit von Darstellungen des auf einem Stein isoliert sitzenden Christus in Kirchen hin. Der Autor machte ferner auf den Umstand aufmerksam, dass diese Skulpturen sich nicht auf eine bestimmbare Passage der Bibel bezögen, indem er ausführte: "Das Bild des auf einem Stein sitzenden Christus… das häufig in Kirchen anzutreffen ist, besitzt keinen Beleg in der Heiligen Schrift".

Mit der neuzeitlichen Wortschöpfung des "Andachtsbildes" wird das Bildthema umschrieben, dem Betrachtenden die Möglichkeit zu einer kontemplativen Versenkung in den Bildgegenstand zu geben. Mustergültig scheint diese Bildfunktion folgende Passage des von Jörg Wickram 1555 verfassten "Rollwagenbüchleins" zu illustrieren. Von einem Wanderer, der an einem am Wegesrand befindlichen Kruzifix vorbeikommt heißt es hier: "stuond also ein wenig still, den herrgott anzuoschauwen, sein ellend und verlust zuo betrachten". Der Bildtypus des "Elendschristus" , der sich punktuell im ausgehenden 14. Jahrhundert nachweisen lässt und im Laufe des 15. Jahrhunderts große geografische Verbreitung findet, die sich von Burgund bis nach Polen erstreckt, steht ohne Zweifel in Zusammenhang zu epochentypischen Gebets- und Andachtsformen. Es handelt sich um eine verinnerlichte, insbesondere für den Laienstand bestimmte Frömmigkeit, eine gefühlsbetonte Teilhabe am Leiden Christi.

Nikolaus von Kues (1401-1464) verkündet in dieser Zeit das Prinzip der "docta ignorantia", der gelehrten Unkenntnis, die gegenüber dem berufsmäßigen Theologen dem Laien einen priviligierten Status in seiner unmittelbaren und stark gefühlsgetragenen Anteilnahme am Heilsgeschehen einräumt. Ziel der Gebets- und Meditationsübungen ist die "imitatio Christi", die Nachfolge Christi, die sich in erster Linie durch das Mitleiden seiner Leidensgeschichte, der so genannten "compassio" vollziehe.

Diese Skulptur hier stammt aus Krakau. Der „Christus in der Rast“ ist ein häufiges Motiv der polnischen Volkskultur. Mich hat diese Skulptur sehr angesprochen. Ich würde sie nicht „Christus im Elend“ nennen. Sie verkörpert für mich vielmehr Melancholie etwas Traurigkeit. Nachdenken. Welchen Titel würden Sie dieser Figur geben?

Rasten,
um wach zu bleiben,
hellwach für alles,
was so geschieht.

Erschütterbar sein
und widerständig.

Das ist für mich die Botschaft dieser Christus Figur.

Für mich ganz persönlich ist dies eine Erfahrung, die ich aus dem Prozess um die Schließung des RPZs für mich selbst gemacht habe und die mir geschenkt wurde.

Für Sie mag es eine Botschaft sein, die Ihnen möglicherweise in anderen Bedrängnissen Mut und Hoffnung gibt.

Uwe Martini, 2.8.11 (Andacht am letzten "Schönberger Tag")

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