Seiten

Dienstag, 13. September 2011

Ein Engel passt auf


Letzte Woche kam unser Sohn Jasser und hatte ein selbstgemaltes Bild in der Hand. "Ich habe unsere Familie gemalt und einen Engel oben, der alle beschützt". Selbstverständlich war ich väterlicherseits sehr gerührt. Der Hund war auch mit dabei, Sonne und Wolken lächeln und dass ich plötzlich einen Schnurrbart habe, wurde in der Würdigung geflissentlich übersehen. Was hat Jasser zu diesem Bild bewegt, fragte ich mich. Wie kommt ein Junge dazu, am Samstag morgen in der Zeit zwischen dem Aufwachen und dem (etwas späteren) Familienfrühstück ein solches Bild zu malen? Da fiel mir ein, dass er in den letzten Wochen öfters nach Streit zwischen den Eltern fragte. Wenn ich oder meine Frau mal einander eine etwas genervte Antwort gaben, wurde er sofort hellhörig: "Was ist denn los?" Der Hintergrund: Zum zweiten Mal hatte er es erlebt, dass ein gleichaltriges Mädchen aus Kindergarten später Schule die Trennung der Eltern erlebt. "Muß Noemi jetzt ins Kinderheim?", fragte er. Er erlebt dies als eine bedrohliche Situation. Und er malt einen Engel, der alle beschützt.

Dieses Bild ist mir wieder eingefallen, als ich eine Religionspädagogische AG zum Thema "Gottesbilder - Gottesbeziehungen" vorbereitete. Unsere Gottesbeziehungen und Gottesbilder sind abhängig von unserer biographischen Entwicklung und unserer jeweiligen aktuellen Lebenssiutation. Ich denke nicht mehr an einen Engel, der oben schwebt und alle beschützt, aber bedrohliche Situationen kenne ich auch, aus denen heraus ich nach Gott frage. In der AG haben wir darüber gesprochen, wie wichtig es ist, dass die Gottesbilder der Kindheit sich verändern. Und dass dies Trauerprozesse sind, weil es um Abschiede geht. Ich muss mich von dem alten Mann Gottvater und den schwebenden Engel verabschieden, von Bildern die mir Sicherheit gaben.

Aber nur so finde ich neue tragfähige Bilder von Gott, die dann in Bedrohungen wirklich helfen können. Was, wenn mir nur der fliegende Engel geblieben wäre? Die Rolle des Religionsunterrichtes in der Neufindung von Gottesbildern ist nicht zu überschätzen.

Aber dann kam mir noch eine andere Begebenheit in den Sinn. Ein Kollege, mit dem ich seit langem freundschaftlich verbunden bin, erzählte mir von seiner Erfahrung im Studienurlaub. Er hatte eine Auszeit genommen, um eine Zeit für sich zu haben und zu meditieren. Sein Resumée war überraschend und auch erschreckend. "In der Gottesbeziehung finde ich immer wieder mich selbst und meine ganz eigene Disposition, Beziehungen zu gestalten", sagte er. Ich fand dies einen beunruhigenden Gedanken. Wenn ich von mir weiß, dass ich in Beziehungen immer der Ausgleichende bin und Harmonien suche, was heißt das für meine Gottesbeziehung?

Wenn ich in Beziehungen immer in eine Opferrolle mich hineinbegebe, was heißt dies für meine Gottesbeziehung? Wenn ich in Beziehungen offensiv das Meine suche und auf mich ausgerichtet bin, was heißt das für meine Gottesbeziehung? Wenn ich Menschen (und Partnern) gegenüber immer (vergebens) darauf warte, angesprochen zu werden, warte ich dann auch vergebens auf Gottes Zuspruch? Mich beunruhigen diese Gedanken und ich habe Sie noch nicht zu Ende gedacht. Es lohnt sich auch verschiedenen biblische Erzählungen einmal unter dieser Fragestellung zu lesen. Ich vermute, es sind Geschichten zu finden, in denen Gott die Menschen anspricht und sie verändert. Zum Beispiel Mose, den schüchternen, redeungewandten Schafhirten macht er zum Sprecher und Anführer eines Volkes. Er tat dies gegen den Widerstand des Mose.

Wo spricht Gott mich an? Womöglich in meinen Widerständen. Wenn ich diese überwinde, kann ich mich verändern. Das Gute an unserem Gott ist, dass er nicht nur in Veränderungsprozesse hineinruft, sondern dass er dann wenn man sich auf den Weg gemacht hat, seine Widerstände zu überwinden, dabei bleibt, begleitet, unterstützt, tröstet, ermutigt, da ist.

Er ist da. Er bleibt da. Er ist präsent. Er bleibt anwesend. So wie der Engel im Bild meines Sohnes, der über der Familie schwebt. Die Möglichkeit zu haben, die Gegenwart Gottes im eigenen leben in Bildern oder Symbolen auszudrücken, Worte zu finden, von dieser Gegenwart Gottes zu reden, dazu ist Religionsunterricht an unseren Schulen da und Kindern und Jugendlichen diese Möglichkeiten zu eröffnen, dazu sind wir da, die wir an unseren Schulen dieses Fach unterrichten.

Liebe Grüße
Ihr
Uwe Martini

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen