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Montag, 26. Juli 2010

Der Heidenkönig und die Erdbeeren

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

Mitten in einer Gemarkung zwischen Staufenberg und Friedelhausen sieht man einen kleinen Hügel, der an ein keltisches Hügelgrab erinnert. Auf diesem Hügel steht ein Stein mit der Inschrift :"Hier ruht der stolze Heidenkönig, der dem Glauben seiner Väter treu für seine großen alten Götter starb".   Wir stießen beim Spaziergang mit unseren Hunden drauf und sofort entspannen sich jede Menge Phantasien. Noch auf dem Heimweg wuchs die Idee: "Super wäre  ein Gottesdienst im Freien am Heidenkönig".  Das Christentum, keltische Geschichte, Glaubenskämpfe, ach was mag  sich da alles in der Aue hinter Staufenberg sich abgespielt haben. Zurück zu Hause dann intensiv gegoogelt und wir stießen auf Ariovist, der Heerführer der germanischen Sueben, der  sich nach seiner Niederlage gegen Caesar in der Wetterau zurückgezogen haben soll, und jede Menge anderer Dinge. Eine römische Heerstraße geht in der Tat dort oben vorbei...  Meine Frau, die als Pfarrerin sehr innovationsfreudig ist, beschloss: An Pfingsten eine gottesdienstliche Wanderung zum Heidenkönig mit verschiedenen Stationen und kleinen Andachten.  Der Kirchenvorstand war einverstanden. Wir fingen an zu forschen und fragten Heimatkundler und groß war unsere Enttäuschung als wir feststellen mussten: Ein Fake. Der Stein wurde errichtet im 19. Jahrhundert vom Grafen zu Friedelhausen, um seine aus Schottland stammende Frau, die krank vor Heimweh war, zu erfreuen. Kein König der Heiden, kein Glaubensdrama, kein keltisches Erbe.   Die gottesdienstliche Wanderung machten wir dennoch. (Bilder kann man auf unserer Gemeindewebseite ansehen.)  Und es war ein sehr schöner Gottesdienst und ein sehr schöner Spaziergang.

Eine Woche vorher hatten meine Frau und ich den Weg schon einmal probeweise abgeschritten. Oben in der Gemarkung liegen große Felder eines ortsansäßigen Bauern, der seit einigen Jahren auf Bio-Landwirtschaft umgestellt hat und vor allem Kräuter anbaut für Tees, Medikamente und anderes. Es ist sehr angenehm dort spazieren zu gehen, weil der Duft der Kräuter über den Feldern liegt und wohltut. dann ging es um die Ecke, runter zum Heidenkönig. Und vor uns lagen riesige Erdbeerfelder, enorme Felder. der erste Gedanke: Wer soll das denn ernten?  Und in unserer Phantasie sahen wir die unterbezahlten Arbeitskräfte aus der ehemaligen Sowjetunion, die zu Hungerlöhnen als Erntearbeiter mit schwerster Arbeit ihren kärglichen Lebensunterhalt verdienten.  "Tja dachten wir: Bio ist gut und schön, aber die Kehrseite ist auch nicht golden. Aber wer weiß schon, wie die alternativen Tees geerntet werden."   An Pfingsten selbst ging der Bauer und seine Familie mit auf die gottesdienstliche Tour und wir fragten ihn natürlich nach den Erntearbeitern. Er schaute uns verwundert an: "Die Früchte interessieren mich gar nicht. Wir ernten mit unseren Erntemaschinen nur die Blätter. Die werden bestimmten Tees beigemischt". Kein Skandal also. Alles war ganz anders als wir es dachten. Und mir fiel der Heidenkönig ein.

 

Es ist anscheinend oft nicht so, wie es aussieht. Und oft machen wir uns ein Urteil auf Grund dessen, was wir sehen. Ich dachte an das Wort, dass Gott das Herz ansieht und mir fielen auch einige Menschen ein, die ich falsch eingeschätzt habe, von denen ich etwas "gesehen habe" und mir ein Urteil bildete. Mir fallen Schüler ein, von denen ich ein Urteil habe, auf Grund von Dingen, die ich "gesehen" habe. Wer weiß...

Wie ist es bei Ihnen? Der Mensch sieht was vor Augen ist. Die Erdbeeren und der Heidenkönig haben mir geholfen, die Urteile, an die ich fest glaubte, etwas zu  hinterfragen. Vielleicht ist xy gar nicht so hochnäsig, vielleicht ist yz gar nicht so eine Rotnasig? Gott sieht das Herz an. Ich kann das nicht. Im Umgang mit Schülern und mit Kollegen scheint mir diese Einsicht zu helfen.

 

Liebe Grüße

 

Ihr

Ihr Uwe Martini , Direktor RPZ Schönberg

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