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Montag, 26. Juli 2010

Das Prinzip des Stärkeren und der Gott der Schwachheit

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ein Kollege erzählte mir letzte Woche von der Betroffenheit seiner Schülerinnen und Schüler angesichts der Attentate in den USA. Sie forderten, in der Klasse eine Andacht zu feiern. Sie zündeten Kerzen an im Unterricht und schrieben Briefe an Präsident Bush.

Letzten Freitag während eines Treffens im RPA klagte eine andere Kollegin: “Wir haben es kaum geschafft, in der Klasse Raum zu schaffen für eine andere Meinung als nur: Afghanistan muss platt gemacht werden”. Die Erziehung zur Friedensfähigkeit wird in Zukunft eines der herausragenden Themen unserer Arbeit werden. Und einer der zentralen Begriffe, um die wir uns dringend kümmern müssen ist der Begriff der Stärke. Was dort in den USA getobt hat, ist das Prinzip der Stärke. Die immer Stärke zeigende Supermacht sollte durch einen Stärkeren in die Knie gezwungen werden. Und nun im Gegenzug geht es wieder darum Stärke zu zeigen.

Dieses Prinzip: “Der Stärkere setzt sich durch” ist ein Prinzip, das von vorneherein den Gedanken an Gerechtigkeit überhaupt nicht zulässt. Unsere Gesellschaft ist von diesem Prinzip durchdrungen. Unsere Kinder wachsen mit diesem Prinzip auf. Sie lernen es in den Familien, sie lernen es auch von uns in Kindergärten und Schulen. Am Dienstag morgen stand in einer Gießener Zeitung: “16 % der 10-16 jährigen in Deutschland geben an, regelmäßig drangsaliert oder von anderen ausgegrenzt zu werden.”

“Der Stärkere setzt sich durch”. Das Fatale ist, dass auch wir gegen dieses Prinzip nicht immun sind , im Gegenteil. Wir wollen stark sein, Schwäche zeigen ist unangenehm. Wir wollen uns durchsetzen, nicht die Looser sein. Der Stärkere ist der Sieger. Es wird notwendig sein hier andere Bilder zu entwickeln, an denen sich unsere Kinder und Jugendlichen orientieren können.

Der RU gewinnt in dieser Aufgabe eine zunehmende Bedeutung. Denn wir stehen hier im Zentrum des christlichen Glaubens: “Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei”, so Micha. Und Paulus schreibt: “Und das Geringe vor der Welt hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist.” Unser Gott hat das Schwache erwählt. Unser Gott ist ein Gott, der das kleine groß macht und das Schwache stark und das Geringe zum Überwinder. Er selbst hat sich gering und schwach gemacht, um diese Welt zu retten. Aus dem Schwachen kommt das Heil für das Ganze.

Aus diesem Stoff gilt es, Zukunftsvisionen zu bauen, die für Jugendliche attraktiv sind und denen sie trauen können. Das muss der Religionsunterricht in Zukunft leisten, wenn er etwas taugen soll. Daran werden wir uns messen lassen müssen. Erziehung zur Friedensfähigkeit ist eine Aufgabe der ganzen Schule und Schule hat das längst erkannt, dazu bedarf es nicht der Kirche. Schule ist auch bereits auf diesem Weg.

In dieser Anstrengung muß jedoch dem RU ein Platz zugewiesen werden, der seiner tatsächlichen Bedeutung gerecht wird. Das beginnt bei uns Unterrichtenden. Wir dürfen unseren RU nicht selbst krankmelden. In diesem Schuljahr kamen alleine drei Kolleginnen zu mir, die sich mit dem Gedanken trugen, ihre Fakultas niederzulegen, weil es so schwierig sei mit dem Religionsunterricht und er an ihrer Schule so schwierig eingerichtet ist: Lerngruppen schulformübergreifend, jahrgangsübergreifend, Randstunden, usw. Ich habe nichts wieder von ihnen gehört und hoffe sie haben es sich noch einmal überlegt und haben neuen Mut gefaßt. Treten Sie an Ihren Schulen ein für eine Stärkung dieses kleinen Faches. In diesem kleinen Fach werden die großen Fragen des Lebens behandelt und unsere Kinder haben ein Recht darauf, sich mit diesen Fragen auseinander setzen zu können. Es müssen mehr Gelder für den RU bereitgestellt werden. Es müssen mehr hauptamtliche
Schulpfarrerinnen und Schulpfarrer an die Schulen. Diese müssen mit Seelsorgeaufträgen ausgestattet werden. Auch die Kirchen müssen sich in der Schule stärker finanziell engagieren. Es muß geprüft werden, ob nicht auch Lehrkräfte mit Seelsorgeaufträgen ausgestattet werden können. Der Bereich der schulnahen Jugendarbeit muß verstärkt werden. Und an den Schulen, in denen der RU am Rande existiert, muß er deutlicher in den Blick geraten und gefördert werden. Kollegen und Kolleginnen, die bereit sind ohne Fakultas zu unterrichten brauchen geeignete Weiterbildungsmöglichkeiten und Ermutigung. Und auch die beiden christlichen Kirchen müssen deutlicher und zielbewusster miteinander reden. Es müssen alternative Regelungen gefunden werden, die es verhindern, dass der Ru aus seiner eigenen konfessionellen Gestalt heraus, sich ins schulische Abseits begibt.
Ich bin überzeugt davon, dass dem RU für die ganze Schulgemeinschaft eine zunehmende Wichtigkeit zukommt. Lassen Sie uns diesen Prozeß nach unseren Möglichkeiten fördern und stärken.

Vielen Dank.
Ihr Uwe Martini, Studienleiter

(Ansprache auf dem LehrerInnentag 2001 in Lich)

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