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Montag, 26. Juli 2010

Gedanken zum Schuljahresanfang

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Am 14.8.00 hatte das RPA Giessen zu einer kleinen Feier geladen, um den
Schuljahresanfang zu begehen. Diese Feier begann mit einer kleinen Andacht.
Zugrunde lage der Text aus dem Matthäusevangelium 25,14-33

“Von den anvertrauten Zentnern Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und zog fort. Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit weitere fünf Zentner gewonnen. Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit zwei weitere gewonnen. Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wußte, daß du ein harter Mann bist: du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht!
Wußtest du, daß ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht
ausgestreut habe? Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.”

Früher ist mir dieser Text immer sauer aufgestossen. Legitimiert dieser Text nicht auf eine geradezu unanständige Art und Weise und grotesk karikierend ein brutal kapitalistisches Unrechtsdenken? Wie oft mag dieser Text in der Auslegungsgeschichte auch in dieser Weie missbraucht worden sein?

Faszinierend erscheint mir, dass unser Identifikationsopbjekt in diesem Gleichnis der Angsthase ist; der, der alles versteckt. Ihm entspricht das Gottesbild eines angsteinflössenden Willkürherrschers. Ich komme ins Grübeln. Wo bin ich wirklich dieser Angsthase? Wo finde ich meine Willkürherrscher? Gibt es Lebenssituationen, die bestimmt sind von einem Satz wie: "Herr, ich wußte, daß du ein harter Mann bist: du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast." In der Tat, wir fühlen uns oft als Opfer, ungerecht behandelt, ausgebeutet: Stress, Burnout Syndrom - das sind die Angstherrscher unserer Zeit für uns.

Ein christliches Gottesbild finde ich hier nicht. Also wäre nach einer anderen Deutung dieses Gleichnisses zu fragen. "Zentner" übersetzt Luther - das entsprechende griechische Wort lautet "to talaton", eine Gewichtseinheit, die höchste Gewichtseinheit zur Zeit Jesu, etwa 34 Kilo, entsprechend einem Geldwert von 6000 Drachmen. Auf dieses Gleichnis geht das deutsche Wort "Talent" zurück, als eine von Gott verliehene Gabe. Paracelsus (1537) war der erste, der versuchte mit dieser Deutung sich dem Gleichnis zu nähern. Wenn ich "talanton" so verstehe, finde ich in der Tat einen neuen Deutungssinn: Ich habe Talente, die mir von Gott verliehen wurden. Wenn ich mit diesen Talenten wuchere, bringen sie Frucht, vermehren sie sich, wachsen sie, dienen sie, helfen sie - und ich wachse mit. Ich habe eine Gabe, die Gott mir geschenkt hat. Ich habe eine bestimmte Fähigkeit und nur wenn ich sie einsetze, entwickelt sie sich. Hier stimmt auch das Bild des Herren, der mir dieses Talent gegeben hat, denn ich habe es nicht selbst erfunden, ich habe es nicht selbst erschaffen - es ist mir gegeben. Und er, der Herr erntet, wo er nicht gesät hat, sondern, er erntet, was ich aus dieser Gabe gemacht habe.

Ja, ich kann auch hier ein Angsthase sein. Es gibt Ängste, die mich dazu bringen können, meine Talente und Fähigkeiten nicht einzusetzen: keine Zeit; was sollen die anderen von mir denken; ich mach mich doch nicht lächerlich; die anderen sollen nicht denken, ich sei ein Streber / Karrierist; ich bin klein und unfähig; ich traue mich nicht, etc., etc....

Ich glaube, Jesus will uns mit diesem Gleichnis Mut machen, unsere Talente und Gaben einzusetzen und mit unseren Talenten zu wuchern. Gott hat uns Fähigkeiten und Gaben geschenkt und wenn wir sie einsetzen, wird uns weiterhin gegeben - genügend Kraft und Mut und Hoffnung: "Wer hat, dem wird gegeben".

Dieses Gleichnis ist gerade für uns sehr wichtig, die wir andere anstecken wollen, damit diese wiederum andere anstecken. Es ist für uns wichtig, die wir andere begeistern wollen, damit diese wieder andere begeistern. Setzen Sie Ihre ganz eigenen und ganz besonderen Gaben, die Sie von Gott erhalten haben ein. Haben Sie keine Angst. Wuchern Sie mit den Talenten, die Gott Ihnen gegeben hat und Sie werden mehr erhalten als Sie nötig haben.

Wenn Gott etwas gibt, dann hat er etwas mit uns vor... Nein, nicht um einen brutalen Kapitalismus und nicht um Ungerechtigkeiten, geht es in diesem Gleichnis, sondern darum dass Gott die von ihm geschenkten Gaben vervielfältigen wird, wenn wir sie nutzen, denn er weiß, dass unsere Kraft zu klein ist. Er verspricht, dass er seine Kraft dazu geben wird. Es ist gut, dass zu bedenken, wenn wir vor unseren Schülerinnen und Schülern stehen.

Ihr Uwe Martini
(aus Newsletter September 2000)

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