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Montag, 26. Juli 2010

Unsere Begabungen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Eine Kollegin überreichte mir kürzlich folgende Geschichte. Ihr Titel: "Das Konzept individueller Unterschiede". Und sie geht so: "Es gab einmal eine Zeit, da hatten die Tiere eine Schule. Das Curriculum bestand aus Rennen, Klettern, Fliegen und Schwimmen, und alle Tiere wurden in allen Fächern unterrichtet. Die Ente war gut im Schwimmen; besser sogar als der Lehrer. Im Fliegen war sie durchschnittlich, aber im Rennen war sie ein besonders hoffnungsloser Fall. Da sie in diesem Fach so schlechte Noten hatte, mußte sie nachsitzen und den Schwimmunterricht ausfallen lassen, um das Rennen zu üben. Das tat sie so lange, bis sie auch im Schwimmen noch durchschnittlich war. Durchschnittliche Noten waren aber akzeptabel, darum machte sich niemand Gedanken darum, außer: die Ente.

Der Adler wurde als Problemschüler angesehen und unnachsichtig und streng gemaßregelt, da er, obwohl er in der Kletterklasse alle anderen darin schlug, darauf bestand, seine eigene Methode anzuwenden. Das Kaninchen war anfänglich im Laufen an der Spitze der Klasse, aber es bekam einen Nervenzusammenbruch und mußte von der Schule abgehen wegen des vielen Nachhilfeunterrichts im Schwimmen. Das Eichhörnchen war Klassenbester im Klettern, aber sein Fluglehrer ließ ihn seine Flugstunden am Boden beginnen, anstatt vom Baumwipfel herunter. Es bekam Muskelkater durch Überanstrengung bei den Startübungen und immer mehr "Dreien" im Klettern und "Fünfen" im Rennen. Die mit Sinn fürs praktische begabten Präriehunde gaben ihre Jungen zum Dachs in die Lehre, als die Schulbehörde es ablehnte, Buddeln in das Curriculum aufzunehmen. Am Ende des Jahres hielt ein anormaler Aal, der gut schwimmen und etwas rennen, klettern und fliegen konnte, als Schulbester die Schlußansprache."

Was soll man von dieser Geschichte halten? Sind unsere Schulen wirklich so deprimierend? Ich finde nicht und ich finde es schade, dass die Geschichte so endet. Sie hätte eigentlich einen besseren Schluss verdient. Daher möchte ich die Geschichte gerne umschreiben. Dazu bedarf es eigentlich nicht viel: Ein Kollegium, das aufmerksam ist für die unterschiedlichen Begabungen der Kinder und Jugendlichen. Eine Lehrerin / ein Lehrer, der/die nachfragt, wenn bei einem Schüler Defizite auftreten. Eine Änderung unseres Blickwinkels: Nicht auf die Schwächen schauen und diese "auffüllen" wollen, sondern verstärkt auf die jeweiligen Stärken der Kinder schauen und diese ganz besonders fordern und fördern.

Dies kann gerade im Religionsunterricht besonders gut gelingen. Denken Sie an den Psalm 139: "Ich danke dir dafür, daß ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele", heißt es dort im Vers 14. Ich bin wunderbar gemacht. Das gilt für mich, das gilt für meine Schülerinnen und Schüler. Wer das erkennt, der kann ganz anders mit sich und mit anderen Menschen umgehen. Dann geht es nämlich darum, das zu entdecken, was Gutes, was an Begabungen, an Fähigkeiten, an Gaben in mir und den anderen verborgen liegt.

Das wäre ein pädagogisches Konzept für einen Unterricht, der Freude macht.

Ihr Uwe Martini
(aus Newsletter September 2001)

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